Dienstag, 03. Oktober 2023

Impuls von Torsten Hilse

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich, Ihnen heute aus Sicht eines Christen, der sich aktiv in der Politik betätigt, in einem Impulsreferat für die nachfolgende Diskussion den einen oder anderen Gedanken – oder aber Widerspruch - beisteuern zu können.

Dass Gerechtigkeit und Friede sich küsse - unter diese uralte Sehnsucht aus Psalm 85 haben Sie Ihre Tagung gestellt. Ein wenig weiter vorn im Psalm wird die Bedingung für diese Verheißung genannt _Im Vers 10 lesen wir … „bald wohnt seine Herrlichkeit wieder in unserem Land und dann kommen Güte und Treue zusammen, und dann  küssen Recht und Frieden einander.

Wenn ich es recht verstehe, ist die Einheit von Gerechtigkeit und Friede, von Güte und Treue erst in Gottes erlöster Welt zu finden. Noch einmal zur Erinnerung. Die Reihenfolge ist hier genau bestimmt – erst muss seine (Gottes) Herrlichkeit wieder in unserem Lande wohnen, und dann kommen Güte, Treue, Friede und Gerechtigkeit zusammen.

Können wir diese Reihenfolge aus eigener Kraft umdrehen?

Können wir Gottes Erlösungswerk auf unserer Erde selbst vollenden, um den gelobten Zustand einziehen zu sehen, nämlich  - dass sich Friede und Gerechtigkeit küssen?

Die Frage, wie wir die Reihenfolge setzen, ist übrigens auch eine hochpolitische Frage. Und ich persönlich glaube, diese Reihenfolge kann gar nicht und darf auch nicht umgedreht werden.

Christen, die sich in die Politik einmischen, die Zusammenleben gestalten und beeinflussen, müssen wissen- sie können Gottes Reich auf dieser Erde nicht schaffen, sie werden es immer mit Schuld und Versagen zu tun haben, sie werden auf Vergebung angewiesen sein.

Es gibt in der Geschichte viele Beispiele, in denen religiöse Schwärmer oder auch kommunistische Ideologen Menschen in ein scheinbar ideales System pressen wollten – und damit noch größeres Unrecht und Leid produzierten.

Die Münsteraner Wiedertäufer z.B. setzten Gewalt und Terror ein, um Frieden und Gleichheit in ihrer Stadt aufzurichten. Sie wollten Gottes Reich schon auf Erden sichtbar werden lassen. Sie wollten mit irdischen Mitteln erzwingen, dass sich Friede und Gerechtigkeit küssen.

Und derzeit sieht sich ein Präsident eines nicht gerade kleinen Landes in einem gewissen religiösen Wahn berufen, das Zweistromland zu befrieden und alles Böse auszurotten.

Das alles sind Irrwege, im Großen wie im Kleinen.

Wer sich als Christ mit aktiver Politik einlässt, muss wissen, es gibt den großen Wurf nicht. Politik ist und wird alle Zeit ein mühsames Geschäft bleiben. Nur viele kleine, (und durchdachte) Schritte bringen voran. Die sittliche Qualität des Zusammenlebens bleibt eine dünne Humusschicht. Der geringste Sturm kann sie wieder abtragen (Wir haben es mit dem 3. Reich erfahren). Das Wissen um die eigene Begrenztheit und die Verletzlichkeit menschlichen Zusammenlebens ist darum für mich eine Voraussetzung für alles politische Handeln.

Und ich glaube, damit sind wir auch bei einer grundsätzlichen Sichtweise. Nicht aus eigener Kraft allein können wir bestehen, noch können wir aus eigner Kraft allein Gutes tun. Das Maß der Dinge bin weder ich selbst noch ist es ein anderer Mensch, sondern das Maß aller Dinge ist Gott allein. Diese Sicht relativiert und bewahrt uns vor Selbstgerechtigkeit.

Wenn es uns also gelingt, in unserem Nächsten Menschen zu sehen, die nichts anderes wollen, als so behandelt und so ernst genommen zu werden, wie wir selbst behandelt und ernst genommen werden wollen, dann haben wir einen guten Kompass.

Wenn allerdings der Kompass nur zwei Himmelsrichtungen anzeigt, weil wir einen Teil der Wirklichkeit ausblenden, werden wir wohl scheitern.

Ich habe gestern dem Vortrag von Frau Claudia Roth sehr aufmerksam zugehört und ich habe mich gefragt, in welcher Welt sie wohl lebt. Ihre Hinwendung zum Nächsten geschieht äußerst selektiv. Mit keinem Wort habe ich vernommen, dass die Öffnung einer Gesellschaft, die Aufnahme vieler Menschen aus anderen Kulturen – nicht nur eine Bereicherung sein kann, sondern auch Ängste und Sorgen auslösen kann. Ich habe nicht erkennen können, dass sie sich z. B. in die Sorgen einer Familie hineinversetzen kann, deren Kinder die letzten deutschen in ihrer Klasse sind.

Wir müssen darüber reden. Wenn wir es nicht tun, wird eine Idee aufgegeben. Nicht unsere Akzeptanz ist maßgeblich, die Akzeptanz der hier versammelten. Die Akzeptanz der Gesamtgesellschaft ist maßgeblich. Und diese gewinnen wir nicht, wenn wir nur zur Kenntnis nehmen, was uns passt. Wir können Gottes Reich nicht herbeireden, noch können wir es herbeischweigen.

Aber es gibt natürlich auch Verbindendes zu der Referentin des gestrigen Abends für mich festzustellen. Auch für mich als Christ ist die Erde ein geliehenes Gut, übernommen von unseren Eltern, um es an unsere Kinder weiterzugeben. Wann immer es um die Bewahrung der Schöpfung im weitesten Sinne geht, werde ich im politischen Alltag andere Maßstäbe für Entscheidungen anlegen, als häufig Atheisten.

Ich habe diese kurze Betrachtung vorangesetzt, weil ich wenigstens ein Mindestmaß von der Sichtweise deutlichen machen wollte, die mich als Christ bewegt und auf dem ich mich als Christ in meinem politischen Tun gründe.

Nun noch einige persönliche Haltungen zur aktuellen Politik, die ich in diese Impulsreferat einzuflechten gebeten wurde.

Zwei Beispiele möchte ich nennen. Ich beginne bei der Politik der großen Würfe.

Politiker formen ein Europa, in denen immer mehr Schwache und Verlierer aufeinander gehetzt werden – Konfrontiert mit realen Lebenshintergründen erklären sie, dass große Ideen immer Opfer kosten und sie , die Opfer bzw. Benachteiligten, sollten sich etwas einfallen lassen. (Beispiel hier: der Bäcker in Frankfurt/Oder – für ihn gibt es kein Wettbewerb in gleicher Augenhöhe)

Sicher, Gestalten und Verantwortung wahrnehmen führt oft dazu, dass partiell Ungerechtigkeiten produziert werden. Das ist nie auszuschließen., Aber man muss diese Ungerechtigkeiten wenigstens noch spüren, man muss unter ihnen noch leiden können, auch wenn man nicht selbst betroffen ist. Es darf einem nicht egal sein, wenn solche Nebeneffekte, die Ungerechtigkeit entstehen lassen, entstehen und erst recht darf man Menschen mit Sorgen nicht der Lächerlichkeit preisgeben (Kleinbürger, keine Sicht für die Großen Visionen)

Dabei wäre es eine große Vision gewesen- der Wirtschaftsunion eine Sozialunion voranzustellen – oder wenigstens beides gleichzeitig anzustreben. Die Frage, wem die großen Visionen wirklich fehlten, dürfte damit beantwortet sein.

Und noch ein kleines Beispiel aus den Niederungen Berliner Politik – aber auch geeignet, deutlich zu machen, das politisches Handeln immer auch Menschen benachteiligt – trotz bester Absichten.

In Berlin schlagen die Wogen hoch, weil der Senat und das Parlament ein Straßenausbaubeitragsgesetz beschlossen haben. Die Opposition redet davon, dass wir ganze Bevölkerungsgruppen der Verelendung anheim geben. Aber warum soll die Allgemeinheit Straßen bezahlen, die fast nur privat genutzt werden? Und warum soll die Allgemeinheit einen Straßenausbau bezahlen, der zur Wertsteigerung privater Grundstücke führt? Und dennoch, wenn es eine alte Oma mit kleiner Rente trifft, wird es als Unrecht empfunden.

Konflikte als Christ habe ich immer dort in der Politik, wo die Pflege und Vermittlung des eigenen Wertehintergrundes in der Gesellschaft behindert wird. Exemplarisch seien hier nur die kontrovers entschiedenen Felder - Schule in freier Trägerschaft und die Einführung des Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach genannt.

Und zum Schluß: Staatliche Ordnung wird nie alle Sehnsüchte und ideale Gesellschaftsentwürfe aufnehmen und darstellen können. Dennoch meine ich, dass wir als Christen aufgefordert sind, Verantwortung wahrzunehmen, eben „…der Stadt Bestes zu suchen  (Jeremia 29)“– nicht abseits zu stehen, weil das Ideal nicht zu verwirklichen ist. Verantwortung zu spüren und wahrzunehmen erwächst aus der Liebe zu unserem Nächsten. Und falls dieser Appell nicht überzeugt, erlaube ich mir die Lektüre von Römer 12 und 13 zu empfehlen. Da steht noch einmal viel zu unserem heutigen Thema unter der Überschrift „Gaben und Dienste in der Gemeinde“ und „ Pflichten gegenüber dem Staat“. Es ist sicher für die oder den einen von Ihnen ein sperriger Text. Aber lesenwert allemal. Lesenwert, weil er bei der einen oder dem anderen von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, durch Widerspruch erzeugen könnte.