Was freundliche alte Männer überstrahlen

Ein Kommentar von Sebastian Dittrich

 

Alles Fleisch verschleißt wie ein Kleid, denn es gilt der ewige Beschluss: Du musst sterben! Wie mit den grünen Blättern auf einem schönen Baum – die einen fallen ab, andere wiederum wachsen –, so geht’s mit dem Menschengeschlecht auch: Die einen sterben, andere werden geboren.

Jesus Sirach 14, 17-18

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Viel wurde schon anlässlich des Todes von Franziskus geschrieben; manches mag schon „auf Vorrat“ produziert über Jahre in den Schubladen gelegen haben. Bei der IKvu war es nicht so. Und es muss aus meiner Sicht auch nicht sein, sich weit hinten in den Kondolenz-Reigen einzureihen oder das zu wiederholen, was schon für Tagesschau, „Brennpunkte“ etc. an O-Tönen eingesammelt wurde.

Worüber ich im Moment nachdenke, ist etwas anderes: Die letzte publizierte Begegnung von Franziskus mit dem US-amerikanischen Vizepäsidenten J.D. Vance.

 

Einerseits wüsste man gern, was Franziskus dem (angeblichen) römisch-katholischen Christ und (mit Sicherheit) Trump-Kultisten zu sagen hatte – so er denn noch Kraft und Stimme dazu hatte. Aber das spielte wohl keine so große Rolle. Wichtig war das Pressebild für die Fanbase zuhause. Sonst scheint sich J.D. Vance kaum inhaltlich geäußert zu haben [4]. Auch hat er bisher nicht seine tribalistische, pervertierte, häretische Interpretation christlicher Nächstenliebe [2] zurückgenommen.

Man fühlt sich doch sehr erinnert an die Besuchs-Aufzüge bei einer anderen großen Persönlichkeit: dem greisen Nelson Mandela. Auch dort gaben sich Potentaten von Castro bis Clinton die Klinke in die Hand. Ebenso die Nachfolger Mandelas im Präsidenten-Amt [6]. Sie verwandelten Mandelas idealistisches Projekt der „Regenbogen-Nation“ vor seinen Augen in eine formal-demokratische Kleptokratie, heute geplagt von Korruption und extremster sozialer Ungleichheit. Und schon zu seinen Lebzeiten propagandistisch bemäntelt von einer regelrechten Mandela-Verwertungsindustrie [3, 9].

Wenn Worte ausgetauscht wurden, so blieb bei den Begegnungen hier wie dort kaum etwas von der Botschaft dieser großen alten Männer bei den Besucher:innen und ihren jeweiligen Apparaten hängen. Auch bei Franziskus stehen schon längst die Revisionisten bereit, die wenigen Ansätze von Reform und Öffnung abzuwickeln. Bekannt sind frühere und neuere Verbindungen rechter Kräfte auch innerhalb des Vaticans mit den MAGA-Ideologen um Steve Bannon und ihren faschistischen Brüdern im Geiste [1, 5].

Ganz zu schweigen von den meisten US-amerikanischen Bischöfen, die den Katholiken Joe Biden bekämpften, und nun weitgehend auf Trump-Linie sind. Kaum wurde die jüngste Kritik Franziskus' an den Massendeportationen [8] rezipiert. Und man kann die Scheinheiligkeit der kondolierenden europäischen Staatsmännner und -Frauen förmlich spüren, die das Mittelmeer nach wie vor zum Grab werden lassen [7]. Um die Toten weint hier schon lange keiner mehr; die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ (Franziskus) hat zwischenzeitlich weit um sich gegriffen, um nun einer Rückkehr in nationale Egoismen zu weichen.

Insofern: der verstorbene Franziskus/Jorge Bergoglio verdient großen Respekt, für seine Persönlichkeit, seine unbestreitbaren Qualitäten als Mensch. Der Mensch Franziskus vermochte der Institution der römisch-katholischen Weltkirche ein mitfühlendes, zugewandtes Antlitz zu geben. Ihr verrechtlichtes, vermachtetes Inneres lies er hingegen nahezu unangetastet. Ähnlich wie die Politik der von Mandela geführten Partei hinter seinen eigenen Idealen vielfach zurückblieb. Südafrika steht heute am Rand des Scheiterns, die römisch-katholischen Weltkirche mag sich noch eine ganze Weile halten können.

Mit dem Ableben großer Persönlichkeiten – was zu betrauern ehrenwert und nur menschlich ist – vermögen wir (wieder) klarer auf die Institutionen, Systeme hinter ihnen und um sie herum zu schauen. Diese können Lichtgestalten hervorbringen, aber auch allerlei finstere Zeitgenoss:innen, Gutes und Unrecht. Man kann sie womöglich nicht soweit reformieren, dass sie ausschließlich oder wenigstens überwiegend Lichtgestalten erschaffen. Am Ende müssen sie wohl eher überwunden werden. Durch uns.

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Quellen

 

[1] https://exxpress.at/politik/team-trump-im-vatikan-deutsche-zeit-warnt-vor-rechtem-papst/ –  letzter Zugriff: 22.04.25

[2] https://politischeoekonomie.com/die-politische-theologie-von-j-d-vance/ – letzter Zugriff: 22.04.25

[3] https://www.afrikaiswoke.com/mandelas-rainbow-nation-post-colonial-consumer-propaganda/

[4] https://www.bbc.com/news/articles/cx26ypl65zjo – letzter Zugriff: 22.04.25

[5] https://www.derstandard.de/story/2000087755728/steve-bannon-gegen-den-papst – letzter Zugriff: 22.04.25

[6] https://www.firstpost.com/photos/photos-nelson-mandela-with-celebs-famous-personalities-politicians-1270183.html – letzter Zugriff: 22.04.25

[7] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/papst-marseille-102.html – letzter Zugriff: 22.04.25

[8] https://www.vatican.va/content/francesco/en/letters/2025/documents/20250210-lettera-vescovi-usa.html – letzter Zugriff: 22.04.25

[9] https://www.youtube.com/watch?v=KDI9pw-VbXo – letzter Zugriff: 22.04.25