Laudatio von Uwe-Karsten Plisch

Laudatio für Fanny Dethloff zur Verleihung des Dorothee Sölle - Preises am 2.6.2011

 

Verehrte Anwesende, liebe Fanny Dethloff, 

 

Das ökumenische Netzwerk „Initiative Kirche von unten“ verleiht auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag den „Dorothee-Sölle-Preis für aufrechten Gang“. Das mutet auf den ersten Blick ganz natürlich an und manch eine fragt sich vielleicht nur, weshalb es diesen Preis nicht schon längst gibt und wieso er erst heute zum ersten Mal vergeben wird. Dorothee Sölle war der Kirche von unten in ihrer Arbeit eng verbunden, ja, sie lebte Kirche von unten und sie war Urgestein und Motor des Kirchentages, Mitbegründerin und Gestalterin von Bibelarbeit und politischem Nachtgebet. Der richtige Preis also am richtigen Ort. Dennoch hat sich die Initiative Kirche von unten die Etablierung eines solchen Preises nicht leicht gemacht und lange darum gerungen. Preise gibt es schließlich zuhauf, die Vergabepraxis ist oft genug undurchsichtig und bisweilen hat man den Eindruck, Aufmerksamkeit sei eher durch die öffentlichkeitswirksame Ablehnung (oder die Drohung damit) zu gewinnen, als durch die Annahme des fünften, zehnten oder dreiundzwanzigsten  Preises.

 

Was also soll ein solcher Preis?

 

Der Dorothee-Sölle-Preis ist nicht dotiert. Das ist zumindest gut für den Preis, denn sein Gewicht empfängt er so allein durch die Würde des Namens, den er trägt und durch die Würde des mit ihm geehrten Menschen und seiner Arbeit. Der Preis heißt nun aber nicht einfach Dorothee-Sölle-Preis, sondern „Dorothee-Sölle-Preis für aufrechten Gang“. Über das Einüben des aufrechten Gangs hat Dorothee Sölle einiges geschrieben und sie hat ihn vorgelebt; wir werden gleich aus dem Munde ihrer Biographin Renate Wind noch mehr davon hören. Ein Dichterkollege, der Österreicher Ernst Jandl, hat dem aufrechten Gang das folgende Gedicht gewidmet:

 

Ernst Jandl

vom aufrechten Gang

 

die würde

der volksvertreter

begründet

die würde

des volks

(nicht umgekehrt)

 

aufrecht

gehend

sind sie sich bewußt

ihres aufrechten

gehens

als einer ungeheuren errungenschaft

 

die andern

gedankenlos

können nicht anders

als sich ebenso bewegen

 

aber jene

die allzeit

daran denkenden

könnten es jederzeit

auch anders

 

Neben den Flexiblen, die auch anders könnten und den mehr oder weniger aufrechten Mitläufern gibt es noch eine dritte Gruppe, die Jandl nicht erwähnt: Jene, die aufrecht gehen, weil sie nicht anders können, wohl wissend, das „Stehen, aber leicht geduckt“, bequemer wäre. Um jene also geht es und ihr Tun; der Preis soll Menschen zur Aufmerksamkeit verhelfen, die aufrecht gehen müssen und ihrer überlebensnotwendigen Arbeit Öffentlichkeit verschaffen, weil sie diese Öffentlichkeit dringend braucht. Um Öffentlichkeit geht es, nicht um Schmeichelei.

 

HEUTE ehren wir mit dem „Dorothee-Sölle-Preis für aufrechten Gang“ Fanny Dethloff.

Fanny Dethloff ist die Flüchtlingsbeauftragte der nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. Nach der öffentlichen Bekanntgabe der Preisträgerin wurde ich angesprochen: Sie macht das doch beruflich, warum also noch ein Preis? Ich verstehe den Einwand, doch ich teile ihn nicht.

 

Denn 1. ist es ein großes Glück, dass eine evangelische Landeskirche sich überhaupt eine Flüchtlingsbeauftragte leistet. In Hamburg weiß man noch, was Ertrinken bedeutet.

 

2. ist Fanny Dethloff - natürlich - keine Frau, die morgens um acht ins Büro geht, sich bis nachmittags um vier um die Belange von Flüchtlingen kümmert und anschließend die Bürotür hinter sich zuschließt. Eine solche Haltung wäre mit dieser Aufgabe auch kaum vereinbar.

 

3. ist Fanny Dethloff ehrenamtlich als Vorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und Vorstandsmitglied der Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants rastlos in Deutschland und Europa unterwegs, um Menschen in Not einen Namen und ein Gesicht zu geben. Es macht einen Unterschied, ob wir von im Mittelmeer ertrunkenen afrikanischen Flüchtlingen oder mit knapper Not Geretteten und in Flüchtlingslagern auf Lampedusa eingepferchten Menschen als abstrakter Zahl hören oder aber von Hassan Matar Khamis aus dem Tschad, der nach acht Jahren in einem Flüchtlingslager auf Malta, nach Psychiatrie und Misshandlung, ins Wasser gestoßen wurde und ertrank, kurz bevor er gegen seine Peiniger vor Gericht hätte aussagen sollen.

In seinem Antwortschreiben an Fanny Dethloff hat Thomas de Maiziere, seinerzeit noch Innenminister dieses Landes, seine Auffassung bekräftigt, dass „für ein ‚Kirchenasyl‘ in einem Rechtsstaat grundsätzlich kein Raum“ sei. „Unsere Rechtsordnung“ biete „sowohl den Kirchen als auch ihren Mitgliedern ausreichend Raum, sich für schutzsuchende Ausländer einzusetzen“. Ein einziges Beispiel - wie das von Hassan Matar Khamis - genügt, um diese Auffassung zu widerlegen. Es gibt sie freilich die Fülle.

 

Und schließlich ehren wir mit Fanny Dethloff eine Frau, deren Engagement tief in der biblischen Tradition verwurzelt ist. „Bete wild und gefährlich“ lautet das Motto, mit dem wir ihr Handeln überschreiben können. Bibel lesen nützt!, heißt es im Materialheft zum Tag der Fürbitte und des Gedenkens an die Toten an den Grenzen der Europäischen Union. Die Bibel ist, fürwahr, ein Buch voller Migrationsgeschichten. Was wäre, wenn Israel an der Außengrenze Kanaans zurückgewiesen worden wäre? Ausgegrenzt vom Land, wo Milch und Honig fließt. Da wollen sie hin. Was wäre, wenn der Zyniker, der das Wort „Wirtschaftsflüchtling“ erfunden hat, für eine Stunde in einem Motorboot ohne Benzin - das haben ihm die Frontex-Kollegen vorsorglich abgenommen - durch die griechisch-türkischen Gewässer treiben müsste? „Ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich aufgenommen“, heißt es in Mt 25. Es heißt nicht: Ihr habt mich aufgenommen, nachdem ich alle Formulare ausgefüllt, Zeugen und Beweismaterial beigebracht und mich bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - gut, dass es ihn gibt! - durchgeklagt habe. Daher ist es genau richtig, dass wir den „Dorothee-Sölle-Preis für aufrechten Gang“ eben hier, im Zentrum Bibel des 33. Deutschen Evangelischen Kirchentages verleihen.

 

Uwe-Karsten Plisch